Fragmente einer GroßstadtDas Leben in der Erbsensammlergesellschaft

Fragmente einer Großstadt Leben in der erbsensammlergesellschaft full

Es passiert viel zu häufig. Erschrocken ertappe ich mich auf den Knien in gebückter Körperhaltung robbend, ohne nach rechts, links oben oder unten zu blicken.

Ich schleppe meinen Eimer mit mir herum und sammle Erbsen vom Boden auf. Am Ende des Tages ist er dann voll und ich habe Rückenschmerzen. Ist aber nicht so wild – der nächste Tag wartet mit geleertem Eimer auf mich und mein Sammeln, Erbse für Erbse für Erbse. Ich bin umgeben von Menschen, die dasselbe tun. Manche sammeln noch viel mehr als ich, viele auch am Wochenende.

Die Rede ist vom wohl größten Teil unseres Lebens: der Arbeit. Grundsätzlich geht es ja hier immer erstmal ums Geld. Darum, den Monat zu überleben und Lebensstandard, den wir führen, mindestens auf gleichbleibendem Level zu halten. Dann folgen weitere Beweggründe. Im Umfeld der oft freischaffenden Kreativen sind wir getrieben von unserem Streben nach Selbstverwirklichung, Ruhm und Stolz. Aber auch all meinen festangestellten Freunde legen einen Riesenehrgeiz und hohen Anspruch an sich selbst zutage. Das macht die Arbeit zu etwas Besonderem, doch erhöht gleichzeitig die Gefahr zu glauben, wir müssten sie bis zur Selbstaufopferung lieben. Außerdem ist gelernt und psychologisch längst fest verankert: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Insgesamt eine ziemlich toxische Mischung, finde ich.

Was dieser Cocktail geistig und körperlich mit uns anstellen kann, wissen wir eigentlich alle irgendwie. Trotzdem liegt es anscheinend in der Natur des Menschen, sich zu überschätzen. Nach dem Motto: Ich kenne meine Grenzen. Mir passiert sowas nicht. Wenn wir uns überhaupt mal einen Spiegel vorhalten, sehen wir nur ein verzerrtes Bild unserer selbst.

Wir können uns doch glücklich schätzen, wenn wir so viel zu tun haben, dass die To-Do-Liste niemals leer ist. (Vorausgesetzt die Aufträge sind bezahlt.) In diesem Kreislauf lässt es sich allerdings nur gesund weiterbewegen, wenn wir ihn zwischendurch regelmäßig unterbrechen. Und das am Besten ohne Selbstbetrug wie Nur-kurz-Mails-checken oder Nur-kurz-ein-Angebot-rausschicken oder Nur-kurz-ein-bisschen-Brainstormen. Stellen wir uns doch mal die Frage – Wie sieht ein perfektes Wochenende wirklich für mich aus? Da kommt bei mir unmittelbar sowas wie: Die gute alte Fahrt ins Grüne.

Zurück in der Stadt wieder Erbsen sammelnd, weiß ich wieder, was ich an ihnen habe. Wird der Eimer mal nicht voll, kann ich wahrscheinlich einmal weniger essen gehen diesen Monat und hab einen Instagram-Post weniger auf meinem Artist-Account. Dafür keine Rückenschmerzen und mehr Spaß. Den Deal find ich ziemlich gut.

Kristina Wedel ist freie Illustratorin und lebt in Berlin-Neukölln. Wo andere ihre Smartphones mit nie wieder angesehenen Fotos füllen, hält sie ihren Stift – vorzugsweise einen einfachen, schwarzen Muji-Pen – bereit und zeichnet jene Eigenarten des urbanen Alltags, die sich nicht so leicht ablichten lassen. Für Das Filter erzählt sie jeden zweiten Mittwoch die Geschichten hinter ihren Bildern.

Mix der Woche: DJ Spinna – Prince Wrote ItB-Seiten, Kollaborationen und andere Songs des großen Genies

Bürgerkrieg im SuperheldenlandFilmkritik: „The First Avenger: Civil War“