Wochenend-WalkmanDiesmal mit Basic Rhythm, Betty Ford Boys und Contriva

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Drei Alben, drei Tipps, drei Meinungen. In unserer samstäglichen Filter-Kolumne wirft die Redaktion Musik in die Runde, die erwähnenswert ist. Weil sie neu ist, plötzlich wieder relevant, gerade entdeckt oder nie vergessen. Und im Zweifelsfall einfach ein kurzweiliger Zeitvertreib ist.

WWalkman Basic Rhythm

Basic Rhythm – Raw Trax

Thaddeus: Der Blick spricht Bände. Leicht druff, aber an ganz viel dran. So geht's zu, wenn man zum Rave unterwegs ist. Nicht zu früh, nicht zu spät, einfach genau richtig kommen, wenn es drinnen schon latent kickt: im Club und im Körper. Anthoney Hart könnte die prägende Zeit der Jungle-Epoche in England noch knapp live miterlebt haben. Hängengeblieben sind die Partys und Tracks bei ihm auf jeden Fall. Erst DJ beim Piratensender Rude FM, dann Produzent, von allem als Imaginary Forces. Auf „Type“ wagt er nun die große Abstraktion des Breakbeat. Der erste ist er mit so einem Projekt nicht, ganz im Gegenteil. Mark Fell hat sich bereits in zahlreichen Produktionen mit der „goldenen Zeit" des Dancefloors auseinandergesetzt, allerdings eher mit metrisch komplexen Annäherungen an Chicago House und Detroit Techno. Kaum zu erkennen, bis auf Staubkorn-kleine Partikel zerbröselt und doch mitreißend. Immer noch. Oder zum ersten Mal überhaupt. Auch Hart setzt auf Drumcomputer, auf Sequenzen, in denen aber mindestens jeder zweite Schlag einfach leer bleibt und so viel Raum für eine neue geistige und körperliche Auseinandersetzung mit dem „'ardcore“ von damals bietet. Dass er seine Inspiration für die Tracks auf dieser phänomenalen Platte aus dieser Zeit zieht, belegen schon die Samples. Und so passt das hervorragend in die Jetztzeit, in der im Footwork und Artverwandtem genau dieses Gefühl der groovenden Schludrigkeit endlich wieder für frischen Wind auf einem überalterten, das Feuilleton lesenden und selbstreferentiell nach vorne tanzenden Dancefloor sorgt.

Betty Ford Boys D.R.Y.L.B.Y.

Betty Ford Boys – D.R.Y.L.B.Y.

Benedikt: Wenn etwas nach HipHop-Produktionen à la Stone Throw Records klingt, aber aus Deutschland bzw. Österreich kommt, dann kann man fast sicher sein, dass Dexter, Suff Daddy oder Brenk Sinatra dahintersteckt. Oder gleich alle drei zusammen. Dann nämlich heißen sie Betty Ford Boys und bezeichnen sich selbst bescheidenerweise als „Deutschlands erste HipHop-Producer-Supergroup“ – eine durchaus angemessene Beschreibung für die Produzentenriege vom Kölner Label Melting Pot Music. Sie leben die gute, alte Sampling-Schule, wühlen sich auf der Suche nach alten Schätzen durch Vinyl-Sammlungen, doch produzieren Zeitloses. In „D.R.Y.L.B.Y.“ steckt richtig viel Soul. Gleichzeitig ist man froh, dass nicht ein einziger Deutschrap-Vers daherkommt, um alles kaputt zu machen. Auf dieser HipHop-Platte ist nämlich kein Platz für große Lyrics, zumal sie eh ein bisschen kurz geraten ist und auch bei doppelter Spielzeit nicht langweilen würde. Achja, zum Titel: „Drink Responsibly You Little Bitch You!“ I like.

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Contrica Tell Me When Cover WW30012016

Contriva – Tell Me When

Ji-Hun: Als wir mit dieser Kolumne anfingen, war eigentlich schon klar, dass man mit den persönlichen Lieblingsalben, also den wirklich privaten Favoriten, fernbar jeglichen Konsens-Relevanz-Diskurses, gut haushalten müsste. Sonst weiß man ja irgendwann nicht mehr, was man in die Playlist tun soll, war der Ursprungsgedanke. Vergangene Woche hatte Kollege Thaddi ein Interview mit Max Punktezahl. Seine Band Saroos hat ein neues Album am Start und ich freue mich schon auf das Interview, das hoffentlich bald bei uns erscheinen wird. Max Punktezahl ist ein in meinen Augen brillanter und begnadeter Musiker. Das wissen auch The Notwist, die ihn seit vielen Jahren mit auf Tour nehmen, um ihre feinkomplexen Arrangements auch live adäquat umsetzen zu können. Fan von Max' Musik wurde ich allerdings durch seine Band Contriva gemeinsam mit Hannes Lehmann, Masha Qrella und Rike Schuberty. Drei Alben haben sie zwischen 2000 und 2006 veröffentlicht und jedes einzelne ist eine wundersam schimmernde Perle. Das sag ich deshalb so deskriptiv, weil mir in jüngerer Vergangenheit an der Bar, auf der Party, bei Musikgesprächen aufgefallen ist, dass die allerwenigsten diese Band kennen. Dabei war der Berliner (Post)-Indie und die Elektronik-Szene zu Beginn des Jahrtausends weltbewegend, wurde dann aber spätestens mit dem Öffnen des Berghains von einer riesig-plumpen Bassdrum weggefegt. Für mich war diese Musik von Labels wie Monika Enterprises, Morr, CCO und vielen mehr sogar ein inspirativer Grund nach Berlin zu ziehen. Das Contriva-Album „Tell Me When“ habe ich seit dem Release oft gehört. Auch weil das Album immer geht, im buchstäblichen Sinn zeitlos ist. Vor gut einem Jahr wurde ich von Ben Fawkes zu seiner Radiosendung Pop Apocalypse eingeladen, in der es darum geht, Songs für die Postapokalypse auszuwählen, wenn also angenommen kein Mensch außer dir eine Katastrophe überlebt hat. Da war das zum Transzendieren schöne „Stuck“ aus „Tell Me When“ ganz vorne mit dabei. Auf jeden Fall meinte Thaddi, dass während des Interviews Max sich zum Thema Contriva nicht per se hoffnungslos geäußert hätte. Darf man sich zehn Jahre nach ihrem letzten Langspieler „Seperate Chambers“ etwa wieder Hoffnung machen? Denn hätte ich heute die Wahl zwischen einem Konzert von Genesis (mein allerallererstes Konzert als junger Teenager ever) oder Contriva. Ich würde mich für Masha, Rike, Max und Hannes entscheiden.

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Filter Tapes 020„Unreleased Sweden“ von Art Alfie

Leseliste 31. Januar 2016 – andere Medien, andere ThemenWeg vom Smartphone, Microsoft und die Forschung, migrantisches Essen und HipHop-Soundgeschichte